«Never leave the planet without one»

Das Schweizer Sackmesser steht weltweit für Innovation und Verlässlichkeit. Die Exkursion zu Victorinox nach Ibach eröffnete der Alumni-Gruppe einen Einblick in die Produktion. CEO Carl Elsener erzählte danach, welche Visionen die Markenwelt von Victorinox prägen. Und wie das Unternehmen auch schwierige Zeiten überstand.

Ein Sackmesser, ein Nastuch und ein Stück Schnur. Das gehörte nach Grossmutters Rat in den Hosensack jedes Buben. Und was hat ein Unternehmer heute jeden Tag dabei? Ein Smartphone wohl, den Schlüsselbund sicher – und ein Sackmesser, klar, immer noch. Auf ihrer Exkursion nach Ibach erhielten zwei Dutzend Alumni Anfang September einen Einblick in die Produktion der weltberühmten Schweizer Messerschmiede.

Handarbeit und Automation
Gleich zu Beginn des Besuchs wurde klar, wie wichtig die Mitarbeitenden für den Erfolg von Victorinox sind. Rund 900 der weltweit 2000 Mitarbeitenden haben ihren Arbeitsplatz in Ibach. 500 davon arbeiten in der Produktion. Swissmade ist bei Victorinox nicht nur die Schale: Alle Messer werden nach wie vor in Schwyz gefertigt. Vom legendären Taschenmesser sind heute rund 350 verschiedene Modelle erhältlich. Es gibt Jäger-, Fischer-, Büro- und Biker-Messer. Ebenso ein Golftool und ein Rettungsmesser. Fast für jeden Beruf und jede Freizeitlage stellt Victorinox ein Sackmesser mit passenden Werkzeugen her, von A wie Armeemesser bis Z wie Zigarrenschneider. Verkaufsschlager bleiben die kleinen und grossen Varianten des weltberühmten «Swiss Army Knive».
Das Modell Huntsman zum Beispiel besteht aus 34 Einzelteilen. Nur einzelne Teile wie etwa der Zapfenzieher werden importiert. Auch die Haushalts- und Berufsmesser werden in Ibach hergestellt und mit viel Handarbeit verpackt. Viele Arbeiten in der Produktion seien monoton, sagte Besucherführer Emil Furrer auf dem Rundgang. Mehr Abwechslung werde aber von den Mitarbeitenden kaum gewünscht. Um die Nachteile der Belastung abzufedern, habe man 2002 eine «Balance Time» eingeführt, sagte der pensionierte Produktionsleiter: «Seither macht eine Physiotherapeutin täglich 5 Minuten Entspannungsübungen mit den Mitarbeitenden.» Schon im Jahr nach der Einführung der Balance Time sei die Zahl der Ausfallstunden um 30 Prozent zurückgegangen.
Sackmesser sind ein beliebter Werbeträger. Anschaulich erlebten die Besucher in Schwyz, wie die Messer individuell nach Kundenwunsch beschriftet werden. Dafür braucht es in der Messerfabrik noch Menschen, während die Fertigung der Taschenmesser weitgehend automatisiert ist. Anders wäre ein Ausstoss von bis zu 60’000 Messern pro Tag nicht denkbar. Möglichst viele Maschinen werden aber im Haus entwickelt. So sind rund ein Drittel der Automaten Eigenbau. Die neueste Maschine, welche die hauseigene Werkstatt bald verlassen wird, erlaubt es, die Pinzette komplett automatisch im Haus herzustellen. Das Ziel der hohen Investition in die Entwicklung von Maschinen ist die Eigenständigkeit, sagte Furrer: «Je mehr Automaten wir selber entwickeln, desto unabhängiger bleiben wir von Herstellern und Zulieferern.»
Auch die Stahlverarbeitung in der Schleiferei ist hochautomatisiert. Der Rohstoff für die Klingen und Kleinteile enthält bis zu 14 Prozent Chrom. Die Qualität erhält der Stahl durch den ausgefeilten Prozess, so Furrer: «Unser Stahl ist erst rostfrei, wenn er gehärtet und poliert ist.» Schliesslich ist der Fortschritt im Recycling sichtbar. Während der Schleifschlamm früher als Sondermüll entsorgt wurde, wird das einstige Abfallprodukt heute fast vollständig wieder verwertet.

Vom Soldatenmesser zur Weltmarke
Nach der Fabrikführung sprach CEO Carl Elsener Jr. über die Werte, die das 1884 gegründete Unternehmen prägten. Die Innovation war von Anfang an nicht nur in den Produkten, sondern auch im Betrieb. Die Unternehmerfamilie stellte sich in ihrer Geschichte oft mit viel Gemeinsinn den wirtschaftlichen Herausforderungen. Als Firmengründer Karl Elsener die Bestellung der Armee für die Soldatenmesser erhielt, sei der Auftrag für den Betrieb zu gross gewesen, erzählte der Urenkel: «Mein Urgrossvater gründete darum den Schweizerischen Messerschmiedeverband, um die Arbeit gemeinsam zu stemmen.» 1897 präsentierte der Gründer dann das Urmodell der Sackmesser-Ikone. Das «Offiziers- und Sportmesser» erhielt als Neuheit einen Korkenzieher. Und schon das Emblem mit dem Schweizer Schild zierte das erste Messer. Das Logo ist älter als der Firmenname, der erst 1921 als Wortmarke geschützt wurde.
Zu den Meilensteinen der Firmengeschichte gehörte der Exporterfolg des «Swiss Army Knive» nach dem zweiten Weltkrieg. Das Sackmesser war in den PX-Stores der US-Truppen erhältlich und bei den Soldaten als Souvenir sehr beliebt. Die bewährten Grundsätze wurden von Generation zu Generation vererbt, sagte Elsener: «Mein Grossvater sagte immer: Ein Unternehmer, der vier Dinge beachtet, kann nicht viel falsch machen.» So steht das Victorinox Leitbild bis heute auf vier Säulen: Die Motivation der Mitarbeitenden, die Zufriedenheit der Kunden, die Qualität der Produkts und die Ausstrahlung der Marke. Höchste Priorität genoss stets die Arbeitsplatzsicherheit, sagte Elsener: «Die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen war unser grösstes Ziel.» Um dies zu erreichen, wird antizyklisch investiert. In guten Zeiten bildet man Reserven. Im Jahr 2000 wurde die Familien-AG in eine Unternehmensstiftung überführt. Diese kontrolliert heute 90 Prozent von Victorinox: «Die Familie hat das Unternehmen nie als ihr Eigentum betrachtet.»
Wie ernst die Verantwortung genommen wird, zeigte sich 2001, als nach den Terroranschlägen von «9/11» die Umsätze praktisch über Nacht um rund 30 Prozent einbrachen. Im Rückblick habe diese Krise das Unternehmen gestärkt, sagte Elsener: «Der Einbruch brachte uns an die Grenzen. Aber dass wir ihn überwunden haben, gibt uns heute Sicherheit und Vertrauen, auch zukünftige Schwierigkeiten zu meistern.» Während mehreren Monaten lieh Victorinox damals Arbeiter an andere Unternehmen in der Region aus, um alle Mitarbeitenden beschäftigen zu können. Christliche Werte sind der Kitt dieser Unternehmenskultur, so das Motto von Elsener: «Trotz Erfolg stets auf dem Boden blieben.»

Piloten und Päpste
Pfiffige Innovation zeigt das Unternehmen auch im Marketing. Die Produkte sind bei Victorinox eine Herzensangelegenheit, sagte der CEO: «Das Taschenmesser ist und bleibt das Herz und die Seele unsere Marke.» Der Umsatzanteil der Messersparte beträgt heute rund 40 Prozent. Victorinox wuchs und diversifizierte, um die Sichtbarkeit der Marke zu stärken. Mit der Übernahme der Wenger SA im Jahr 2005 kamen Parfüms dazu. Heute werden keine Wenger-Taschenmesser mehr hergestellt, aber das Kompetenzzentrum für Victorinox-Uhren in Delémont. «Die Vision hat sich immer weiter entwickelt», hielt Elsener fest. So stiessen Kleider und Reisegepäck zu der Produktepalette. Nachdem die Victorinox-Koffer bisher über Lizenzen im Ausland produziert wurden, wird dieser Bereich nun näher nach Schwyz geholt. Ein eigenes Team in Ibach ist künftig für die Entwicklung des Gepäcks zuständig.
Bei der Diversifizierung achtete Elsener darauf, dass jedes Produkt zu Victorinox passt: «Die Marke darf nicht verwässert werden.» So sind alle Produkte in einer Art «Begleiter fürs Leben.» Dieser Slogan wurde nicht etwa von einer Agentur entwickelt, sondern er stammt von den Kunden. Unzählige Sackmessergeschichten erreichten die Firmenzentrale seit je in Form von Fanpost. Victorinox erkannte den Marketingwert der Zuschriften und verwendet sie seit je konsequent zur Markenbildung. Elsener schöpft selber gerne aus diesem unerschöpflichen Fundus von Anekdoten. Etwa wie der amerikanische Pilot Francis Gary Powers 1960 im Kalten Krieg über der Sowjetunion abgeschossen wurde: «Als die Sowjets die Ausrüstung des Spions auslegten, war auch ein Victorinox-Messer dabei. Auf der Etikette stand ‹CIA equipment›.» Victorinox stellt sicher, dass jeder Papst ein Schweizer Sackmesser erhält. Und dank der TV-Serie MacGyver eroberte der praktische Erfindergeist aus Schwyz sogar Hollywood – mit dem Sackmesser in der Hauptrolle. Elsener zitierte zum Abschluss aus den Memoiren des australischen Astronauten Chris Hadfield. Dieser schildert in seinem Buch, wie er mit Hilfe des Sackmessers in die russische Raumstation MIR einbrechen konnte. Hadfields letzter Satz des Kapitels ist ein Gratis-Werbespruch für Victorinox: «Never leave the planet without one.»
Der Netzpunkt klang beim Besuch des Museums und des Ladens im Swiss Knive Valley Vistor Center in Brunnen aus. Beim Apéro hatten die Alumni Gelegenheit, weitere Sackmesser-Geschichten auszutauschen.

Text und Fotos: Claudio Zemp

 

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